Die bewegte Wissenschaft
Wissenschaft und Film gehören quasi zusammen, "seit die Bilder laufen lernten". So hat sich die Forschung des Films seit jeher bedient und umgekehrt. Die Grenzen zwischen Wissensvermittlung und Entertainment verschwimmen zusehends, gleichzeitig werden die Ausspiel-Kanäle zahlreicher, das Medium interaktiver und die Möglichkeiten dadurch zahlreicher - das Internet macht's möglich.
Noch immer assoziieren viele Menschen Wissenschaft im Film mit Lehr- und Anschauungsfilmen der Schulzeit (siehe auch "Film in der Schule: Viel Luft nach oben" und "Unis vertrauen auf die Macht des Bewegtbilds"). Das Medium kann aber viel mehr und wird mittlerweile auch dementsprechend eingesetzt. Was das bewegte Bild mit und für die Wissenschaft tun kann, zeigt sich in den verschiedenen Festivals, die es bereits dazu gibt. An der Universität Wien fand dazu zum Beispiel im Juni das Filmfestival "Science Fictions" statt. Der Fokus der präsentierten Filme lag dabei auf der Wissenschaft im Umfeld von Politik, Gesellschaft, Krieg und Forschung. Ausschließlich auf die aufstrebende synthetische Biologie zielte dagegen der Event "Bio.Fiction" (siehe auch "Audiovisuelle Predigt oder Ausgangspunkt partizipativer Innovation?") ab.
Beim fünften "European Science Film Festival" am alten Campus der Wirtschaftsuniversität Wien, wurde Anfang Dezember 2015 gemeinsam mit den Partnerfestivals am europäischen Kernforschungszentrum CERN in Genf, in Moskau und im tschechischen Olmütz die "Europäische Akademie des Wissenschaftsfilms" unter österreichischer Leitung ins Leben gerufen. "Ein Ziel ist, dem Wissenschaftsfilm auf europäischer Ebene mehr Gehör zu verschaffen", erklärte Festival-Direktor Wolfgang Haberl, der den ersten Vorsitz übernimmt.
Es gibt bereits Überlegungen, das Festival künftig auf eine breitere, regelmäßige Basis zu stellen, so Haberl gegenüber APA-Science. Gute Rückmeldungen habe es auch durch die Zeitnähe und den damit programmierten Überschneidungen zum in Wien auf Einladung des ORF abgehaltenen "World Congress of Science and Factual Producers" gegeben.
Den Wettbewerb hat übrigens der Beitrag "Rosetta comet chaser, a journey to the origin of life" über die Rosetta-Mission der ESA gewonnen, woran auch österreichische Forscher maßgeblich teilgenommen hatten.
Check, Check, Check
Wissenschaftliche Filme durchlaufen im angloamerikanischen Raum schon seit langem einen sehr strengen Daten- und Faktencheck ähnlich dem Peer-Review-Prozess bei wissenschaftlichen Publikationen, war beim Filmfestival hören. Ohne genauen Check gehe aber auch in Europa nichts mehr, konterten europäische Produzenten und Verantwortliche. Davon hänge schon alleine das wirtschaftliche Überleben ab.
Sonya Pemberton, weltweit bekannte, Emmy-ausgezeichnete australische Produzentin von wissenschaftlichen Beiträgen, wies außerdem darauf hin, dass Filme mit Forschungsinhalten nicht überfrachtet werden dürften. Studien hätten bereits gezeigt, dass drei bis fünf Punkte reichen - damit es beim Publikum noch ankommt. Das fordere aber natürlich Disziplin und Selbsteinschränkung.
Beim Festivals wurde einmal mehr auch über den vermeintlichen wesentlichen historischen Unterschied der beiden "Kulturräume" Europa und angloamerikanischer Sprachraum gesprochen: die Berührungsängste europäischer Wissenschafter mit dem Medium Film. In Europa habe es massive Fortschritte gegeben, war der Grundtenor. "Die Wissenschaft hat den Wert der filmischen Darstellung ihrer Inhalte auch hier erkannt", meinte ein Forscher. Außerdem wurde vermehrt daraufhin hingewiesen, dass Medienpräsenz - auch im Film - ein maßgebliches Kriterium für Förderungsanträge geworden ist.
Öffentlichkeit ist unumgänglich
Ulrike Felt, Dekanin der Fakultät für Sozialwissenschaften der Universität Wien, meint dazu etwa in einem Youtube-Beitrag zum 650-Jahr-Jubiläum der Universität Wien, dass die Wissenschaften den Menschen mehr denn je versprechen, Lösungen für alle möglichen Probleme zu finden. Daher sei es wichtig, in die verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen zu investieren. Dadurch ist es ihrer Auffassung nach fast unumgänglich, in irgendeiner Form "öffentlich zu sein", um zu kommunizieren, was eigentlich geleistet werde.
Letztlich sei es auch eine Legitimationsfrage, erklärt Werner Zips vom Institut für Kultur- und Sozialanthropologie im gleichen Video. Da die Universitäten noch immer zum größten Teil von der öffentlichen Hand finanziert würden, müsse dargestellt werden, dass man auch für die Öffentlichkeit und nicht nur für die akademische Community arbeite. Die Frage sei mittlerweile nicht mehr, dass etwas aus der Wissenschaft kommuniziert werde, sondern das Wie, so Felt.
Wissenschaft im Fernsehen setzt auf Tradition
Wer sich mit Wissenschaft und deren filmischer Darstellung beschäftigt, kommt natürlich nicht am Fernsehen vorbei. Schließlich zählen die TV-Sender, in Österreich sind da vor allem der ORF und Servus TV zu erwähnen, zu den größten Finanzierern von Wissenschaftsfilmen und filmischen Formaten zur Wissensvermittlung.
Wissenschaft und Fernsehen ist zumindest im frei empfangbaren TV in Österreich eine Erfolgsgeschichte. Darauf weist die Dissertation, die 2014 mit dem Award of Excellence 2014 des Wissenschaftsministeriums ausgezeichnet wurde, von Rosa von Suess, Dozentin und Wissenschafterin an der Fachhochschule St. Pölten, hin. Im Untersuchungszeitraum von 2010 bis 2013 wuchs demnach die Zahl der Wissen(schaft)s-Sendungen von 30 auf 38. Das spiegelt sich auch in der monatlichen Sendezeit, die von monatlich 147,5 auf 178 Stunden anstieg. Das entspricht einem Plus von einer Stunde pro Tag.
Der deutsche Wissenschafter Markus Lehmkuhl von der Freien Universität Berlin fand laut Suess' Arbeit außerdem heraus, dass Deutschland und Finnland bei Wissenschaftsformaten in Europa führend sind, was durch die zahlreichen frei empfangbaren deutschen TV-Sender auch österreichischen Konsumenten zugutekommt.
Oft fehlt es an Risikobereitschaft
Die meisten Sendungen sind jedoch eher nach traditionellen Mustern gestrickt, attestiert Suess den Sendungsverantwortlichen wenig Mut zu neuen Darstellungen. "Die Entwicklung neuer Formate verlangt den ProgrammveranstalterInnen Risikobereitschaft ab und diese ist traditionell in deutschsprachigen Ländern in diesem Bereich verhältnismäßig wenig vorhanden", schreibt sie dazu. Damit sende man an der jungen Zielgruppe vorbei. Außerdem spiegle die Darstellung von Wissenschaft meist ein traditionelles, männerdominiertes Wissenschaftsbild wider.
Tatsächlich neuere Erkenntnisse aus der Forschung würden selten den Weg auf den Bildschirm finden. Bevorzugt wird laut der Studie auf Alltags- oder spektakulär darstellbare Phänomene (Sprengungen usw.) zurückgegriffen. "Interessant ist der Umstand, dass der Aktualität von Forschungsergebnissen am wenigsten Relevanz beigemessen wird; dies in einem Medium, das gerade diesen Aspekt ansonsten zentral berücksichtigt", meint von Suess. Zudem stehe die gern gewählte subjektive reportageartige Form der Beiträge in Widerspruch zur klassischen Idee wissenschaftlicher Neutralität.
Für die Forscherin sind die Wissen(schaft)sformate auch nicht so innovativ, wie sie sein könnten: Es gibt demnach kaum Möglichkeiten der Interaktion, durch die das Publikum in das Geschehen involviert werden kann: "Auch die Möglichkeit, Inhalte plattformübergreifend zu erzählen, wird nicht genutzt. Schließlich werden innerhalb der Formate aufwändige Darstellungen weniger genutzt als angenommen. Alle Formate versprechen aber in den ersten Sendungssekunden Darstellungsformen, die auf Beitragsebene selten wiederkehren."
Das Web
Das Internet hat auch die Wissenschaftskommunikation völlig umgekrempelt. Auf Youtube und ähnlichen Web-Kanälen greifen die Beiträge meist nur einen Punkt auf, der kurz und wenn möglich unterhaltsam aufbereitet wird. Dadurch unterscheiden sich Film- und Fernsehbeiträge von Internetaufbereitungen. Das Netz punktet bekanntlich damit, dass man zurückspringen kann, wenn etwas nicht verstanden wurde. Leichtes, schnelles Wiederholen vertieft das Wissen. Beim klassischen Film und einem Fernsehbeitrag ist das natürlich nicht möglich. "Dadurch muss ein Film eben langsamer vorgehen", so Pemberton.
Ein großer Vorteil des Internets ist der Produktionspreis, der natürlich nicht mit einer Filmproduktion vergleichbar ist. Da könne man dann auch mit dem Geld für Förderungen für Wissenschaftskommunikation etwas Sinnvolles machen, war bei dem Festival zu hören. Ein Film selbst kostet ja in der Regel das Vielfache der wissenschaftlichen Arbeit selbst.
Ein Star der Szene ist der Australier Derek Muller, der mit seinen Youtube-Beiträgen gutes Geld verdient. Sein Channel "Veritasium", der sich über Werbung finanziert, weist 200 Millionen Aufrufe und drei Millionen Abonnenten auf. Eine Stärke Mullers, der beim "European Science Film Festival" vor Ort war, ist, dass der Unterhaltungswert sehr hoch ist, was auch seine ständig - auch in Österreich - wachsende Anhängerschaft erklärt. Wissen und/oder Forschung wird in kleinen Happen kurzweilig präsentiert - das Format wird im positivsten Sinn ausgereizt.
Die verschiedensten Kanäle des Internets zur filmischen Vermittlung nutzt auch die Plattform SciViews, die das Netz nach den besten, kreativsten Webvideos zu wissenschaftlichen Themen oder Forschern durchstöbert. Die Auswahl erfolgt laut den Angaben nicht willkürlich, sondern durch ein Redaktionsteam. Gleichzeitig kooperiert SciViews mit verschiedenen Institutionen, darunter auch die Universität Innsbruck.
Das Internet bietet außerdem die Möglichkeit, sich von traditionellen Darstellungsformen, die für den Film und das Fernsehen oft unersetzlich sind, zu trennen und neue multimediale, grafische und audiovisuelle Stilmittel einzubringen. Mit "tagged - Wissensmagazin für digitale Kultur" sucht man zum Beispiel an der Fachhochschule St. Pölten nach alternativen Wegen der Darstellung von wissenschaftlichen Inhalten neben den bereits etablierten Pfaden.
Archivierte Wissenschaft
Der wissenschaftliche Film ist so alt wie das Medium selbst. Wichtige Beiträge kamen auch aus Österreich. So hat der Zoologe Hans Hass gemeinsam mit seiner Frau Pionierarbeit für die Akzeptanz von Natur-Dokumentationen (besonders für die Unterwasserwelt) geleistet. Eine umfangreiche Sammlung von rund 400 wissenschaftlichen, hauptsächlich Lehr- und Bildungsfilmen hat die Mediathek erst heuer online gestellt. (siehe Gastkommentar "Wissenschaftlicher Film als 'optisches Dauerpräparat'")
Die Filme decken ein breites zeitliches (von 1904 bis 1997) und thematisches Spektrum von der Ethnologie, Medizin, Biologie über Chemie, Physik, Technik, Kulturgeschichte, Archäologie, Zeitgeschichte, Architektur bis hin zu Religion und Psychologie ab.
Die Einzigartigkeit des Quellenbestands zeigt laut Mediathek die Aufnahme der Sammlung in das "Austrian Memory of the World Register" der UNESCO. Die Filme würden darüber hinaus deutlich zeigen, dass die wissenschaftliche Arbeit stark von ihrer Entstehungszeit geprägt und einem beständigen Wandel unterworfen ist. Das gilt natürlich auch für die moderne filmische Darstellung von Wissenschaft und die Zukunft wird weisen, wohin sich das Medium noch bewegen kann. Unzählige kreative Köpfe garantieren für weitere spannende Produktionen - egal auf welchem Ausspiel-Kanal.
Von Hermann Mörwald / APA-Science